Freitag, 23. November 2007

Punkt, Punkt, Komma, Strich: fertig ist das Textgesicht!

Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens auf und neben Ihrem Bett funkelt und glänzt es. Sie schauen genauer hin und sehen einen golden schimmernden Koffer. Vorsichtig öffnen Sie ihn - und was flattert Ihnen direkt in die Hände? Lauter 50- und 100 Euro-Scheine! Und das Schönste: genau das passiert von nun an jeden Morgen, an jedem Tag Ihres restlichen Lebens…

Geben Sie es ruhig zu: Sie haben den Koffer mit den schwebenden Euro-Scheinen direkt vor Ihrem geistigen Auge gesehen. Der Text hat ein Bild, eine Art Minifilm in Ihrem Kopf erzeugt. Ihre rechte Gehirnhälfte, die für Emotionen zuständig ist, wurde aktiviert. Das Gefühl, das die “Textbilder” hervorgebracht haben, ist durchaus angenehm und hat Sie neugierig gemacht. Nun möchten Sie wissen, was hinter dem Geheimnis des Geldkoffers steckt… (Es handelt sich dabei übrigens um eine lebenslange, monatliche 5.000,- Euro-Rente, die der Leser mit einem Los gewinnen kann).

Was sagt Ihnen das über gute Texte? Gekonnt gestaltete Texte bestehen aus Wörtern und Sätzen, die zusammen ein harmonisches “Gemälde” erzeugen. Texter bedienen sich dabei rhetorischer Figuren: zum Beispiel nutzen sie Vergleiche, Wiederholungen, Beispiele, rhetorische Fragen, Ellipsen (Auslassungen von Wörtern und Satzteilen - wie das auch in der gesprochenen Sprache praktiziert wird), ebenso Anspielungen, Metaphern (aber bitte nicht im Stil von “Geldregen”, “Wüstenschiff”, “auf der Erfolgswelle reiten” – frische, unverbrauchte Metaphern sind gefragt!) und vieles mehr an Stilmitteln.

Ein guter Text ist bildhaft und muss die verwendeten Fotos kongenial ergänzen. Text und Bild dürfen keinen Gleichklang haben, zwischen ihnen muss eine Spannung bestehen. Nehmen wir an, auf einem Prospekt eines Lederfachgeschäftes ist auf dem Titel eine edle Tasche aus silberfarbenem Leder abgebildet und als Headline steht da:

“Ein Traum von einer Tasche - exklusiv und aus silberfarbenem Leder… ”

Na ja… Wahrscheinlich reißt Sie das nicht vom Hocker, oder? Obwohl der Text ja nicht wirklich schlecht ist. Wie könnte die Sache spannender werden?

Der Prospekt, den ich heute Morgen in meiner Zeitung gefunden habe, hat dies geschafft:
man sieht auf der Titelseite des Prospektes einen schönen, gut gebauten Mann als “Engel” abgebildet, der der Leserin eine silberfarbene Damen-Handtasche entgegenstreckt. Als Headline steht darüber:

“Ihr himmlischer Begleiter!” Und daneben klein: “Ledertasche in silber oder schwarz”.

Bei diesem Beispiel stimmt die Text-Bild-Komposition. Das Bild macht neugierig, die Headline spielt gekonnt mit der sanft erotischen Stimmung, die das engelhafte Männerfoto erzeugt. Das ist wirkungsvoll, nett gemacht, hier stimmt das “Textgesicht”.
Copyright by Konzeption & Text – Ingrid Holzmann-Ottohall – 2007


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